(c) NASA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AAfrica_satellite.jpg

Menschenrechtspolitische Vorschläge zum neuen Afrikakonzept

von Christoph Schlimpert

Der afrikanische Kontinent wurde in den außenpolitischen Überlegungen Deutschlands lange vernachlässigt. Es ist begrüßenswert, dass aktuell eine neue Afrikapolitik diskutiert wird. In diesem Licht sollte auch die Überarbeitung des aus dem Jahr 2011 stammenden Afrikakonzeptes der Bundesregierung verstanden werden. Friedensförderung und Menschenrechtsschutz sollten ein zentraler Aspekt des neuen Konzeptes werden.

In vielen Staaten Afrikas sind bemerkenswerte Fortschritte in guter Regierungsführung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit festzustellen. Zudem wird Afrika für Deutschland auch in wirtschaftlicher Hinsicht zunehmend interes-santer. Dennoch zeigen die jüngsten Krisen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik sowie fortdauernde Konflikte in der DR Kongo, Sudan und dem Südsudan, dass der Schutz von Zivilisten vor schwersten Menschenrechtsverletzungen von größter Bedeutung bleibt. Aus diesem Grund muss Friedens- und Menschenrechtspolitik ein Schwerpunkt der künftigen deutschen Afrikapolitik werden. Viele Staaten bedürfen weitaus größerer Unterstützung bei der Verhinderung von Völker­mord, ethnischen Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Solche Hilfen hatte die internationale Gemeinschaft im Jahr 2005 in ihrer Verabschiedung der sogenannten Schutzverantwortung (engl. respons­ibility to protect) zugesagt. Bisher ist in diesem Politikfeld zu wenig geschehen.

 

Grundsätze eines neuen Afrikakonzeptes

 

Die bereits im Afrikakonzept von 2011 vorhandenen Bekenntnisse zu Frieden, Sicherheit und Menschenrechten sollten um ein explizites Bekenntnis zur Verwirklichung der Schutz-verantwortung ergänzt werden. Der zwanzigste Jahrestag des Genozids in Ruanda verdeutlicht: Angesichts zahlreicher bewaffneter Konflikte und den hiermit verbundenen Bedrohungslagen für Zivilisten kommt der Umsetzung der Schutz­verantwortung eine zentrale Rolle zu.

Der Kampf gegen die Straflosigkeit von Gräueltaten erfordert zudem die Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Nach anfänglich großer Unterstützung des IStGHs ist derzeit zunehmende Kritik von Seiten afrikan­ischer Staaten zu beobachten. Um die bisher ge­machten Fortschritte nicht zu gefährden, sollte Deutschland im Dialog für eine Stärkung des Vertrauens in diese junge, politisch unabhängige Institution werben.

Die Einhaltung und Förderung der Menschen-rechte sollte ausnahmslos in allen Bereichen der deutschen Afrikapolitik verankert sein. Dies gilt insbesondere auch für die deutsch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen. Im Hinblick auf die Themen Wirtschaft und Rohstoffe sollten deutsche Interessen an einer Intensivierung der Handels­beziehungen nicht auf Kosten menschen­rechtlicher Standards gehen. Gerade das konflikt­ver­schärfende Potential von Rohstoff­exporten sollte im Zusammenhang von Entwicklungs- und Friedenspolitik gesehen werden. In inter­nationalen Verhandlungen mit afrikanischen Partnerländern und gegenüber heimischen Unter­nehmen müssen Menschenrechte besondere Be­rücksichtigung finden.

 

Menschenrechtspolitische Instrumente nutzen

 

Die Rolle Deutschlands bei der Entwicklung der zivilen Konfliktprävention sowie der Förderung der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur ist lobenswert. Die im Afrikakonzept von 2011 aufgeführten Instrumente sollten deswegen weiter intensiv genutzt und nach Möglichkeit ausgebaut werden. Im Bereich der Prävention von Massenverbrechen sollten jedoch zusätzliche Instrumente Anwendung finden.

Deutschland sollte seine Fähigkeiten zu einer aktiveren Unterstützung von UN-Friedens-missionen ausbauen und auch einsetzten. Neben der gegenwärtigen Praxis einer Beteiligung durch Militärbeobachter und Stabsoffizieren sollte Deutschland mehr logistische Kapazitäten, ziviles Fachpersonal und Polizeikräfte für Friedens-missionen zur Verfügung stellen. Deutschland sollte bei massiver Gefährdung einer Zivil­bevölkerung im Zusammenspiel mit EU, UN und regionaler Organisationen auch zum Einsatz militärischer Kräfte auf Grundlage der Schutzver-antwortung bereit sein. Die Bereitstellung von Luftaufklärungs- und Lufttransportkapazitäten ist hierbei eine mögliche Option. In besonders gravierenden Situationen sollte auch eine kurzfristige Entsendung von Einheiten der der EU-Battle Groups oder NATO-Response-Force erwogen werden, wenn vor Ort präsente Friedensmissionen mit der Lage überfordert sind. Die Entsendung solcher kurzzeitigen Über-brückungskräfte (engl. bridging forces) hat sich in der Vergangenheit bewährt.

Zusätzlich zu den im bisherigen Afrikakonzept genannten militärpolitischen Aspekten der Sicherheitssektorreform (SSR) müssen auch zivile Komponenten stärker in den Blick ge-nommen werden. Die Instrumente der SSR zur Stärkung einer unabhängigen Justiz und einer die Bürgerrechte achtenden Polizei sind ein wichtiger Bestandteil der Verhinderung von Gräueltaten. Ausbildungsmissionen zur Stärkung und Unter­weisung nationaler Sicherheitsapparate in humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten sind von besonderer Bedeutung. Insbesondere im Rahmen der deutschen Ertüchtigungsinitiative muss darauf geachtet werden, dass die verbesserte Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitskräften immer mit einer Stärkung des Menschenrechtsschutzes einhergeht.

Die „goldene Regel“ des Arms Trade Treaties zur Berücksichtigung der Menschenrechtslage bei der Genehmigung von Rüstungsexporten sollte als wichtigstes Kriterium für deutsche Rüstungs-exporte nach Afrika angesehen werden. Bei der sogenannten „Ertüchtigung“ von Sicherheitskräf­ten muss darauf geachtet werden, dass in diesem Zusammenhang gelieferte Ausrüstungsgegen-stände nachweisbar nicht missbraucht werden.

Zur Prävention von Gräueltaten sollten sich die durchführenden Ressorts bei der wirtschaft-lichen Kooperation mit afrikanischen Staaten stärker an den Zielen und Leitlinien der konfliktsensiblen Entwicklungszusammenar-beit orientieren. Dabei muss auf eine Stärkung lokaler Strukturen geachtet werden, um gesellschaftlichen Spannungen den Nährboden zu ent­ziehen. Das Bundesministerium für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung sollte bei der Koordinierung von Entwicklungshilfe­programmen stärker mit den relevanten Länder­referaten und der UN-Abteilung im Auswärtigen Amt zusammenarbeiten. Auch die Außen­wirtschaftsförderung durch das Bundesminister­ium für Wirtschaft und Energie sowie das Auswärtige Amt sollten solche Projekten prioritär fördern, die in Zielstaaten zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der lokalen Bevölker­ung und der allgemeinen Menschenrechtslage beitragen.

 

Menschenrechtspolitische Vorschläge zum Afrikakonzept der Bundesregierung – Genocide Alert Policy Brief

 

Christoph Schlimpert ist stellvertretender Vorsitzender von Genocide Alert.

Kontakt: info@genocide-alert.de

Genocide Alert e.V., März 2014

 

V.i.S.d.P.: Dr. Robert Schütte

Deutschland und der Völkermord in Ruanda: Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht Studie der stellvertretenden Vorsitzenden von Genocide Alert

Am 7. April 2014 veröffentlichte die Heinrich-Böll-Stiftung  ein E-Paper der stellvertetenden Vorsitzenden von Genocide Alert Sarah Brockmeier zur Rolle Deutschlands während des  Völkermords in Ruanda.

Die internationale Reaktion auf den Völkermord in Ruanda wurde in den letzten 20 Jahren vielfach analysiert. International besteht ein weitgehender Konsens, dass der Genozid mit entschlossenerem Handeln der Weltgemeinschaft verhindert oder zumindest in seinem Ausmaß erheblich hätte eingeschränkt werden können.  Dabei standen die Vereinten Nationen und einige ihrer einflussreichen Mitgliedsstaaten wie die USA, Frankreich und Belgien im Mittelpunkt der internationalen Kritik. Die Rolle Deutschlands während des Völkermords wurde bislang nicht ausführlich untersucht.

Für ihr Papier „Deutschland und der Völkermord“ untersuchte Sarah Brockmeier neben der bestehenden Literatur zu Ruanda zahlreiche Primärquellen wie Bundestagsprotokolle, Pressemitteilungen und Reden  und führte 15 Interviews mit Deutschen, die vor oder nach dem Völkermord 1994 in Ruanda waren oder sich intensiv mit dem Völkermord auseinandergesetzt haben.

Das Ausmaß der deutschen Zurückhaltung vor und während des Völkermords ist ernüchternd. Deutschland war zum Zeitpunkt des Genozids schon seit Jahrzehnten entwicklungspolitisch in Ruanda engagiert und enger mit dem Land verbunden als mit den meisten anderen afrikanischen Ländern. Als deutsche Stellen in Ruanda während der frühen 1990er Jahre immer mehr Warnzeichen für einen massiven Gewaltausbruch wahrnahmen, wurden diese von wichtigen Schaltstellen nicht an Bonn weitergegeben oder stießen dort auf keine Reaktion. Gleichzeitig erhöhte die Bundesregierung die Entwicklungshilfe für Ruanda. Nach Beginn des Völkermords und der Evakuierung der eigenen Staatsbürger lehnte Deutschland einen Beitrag zur Unterstützung der Vereinten Nationen ab, auch als diese explizit um deutsche Hilfe baten. Auch nach konkreten Anfragen des Landes Rheinland-Pfalz nahm Deutschland keine Flüchtlinge aus Ruanda auf. Bis heute hat sich die Bundesregierung nicht intensiv mit der Rolle Deutschlands vor und während des Völkermords in Ruanda auseinandergesetzt.

Die Autorin schlussfolgert, dass Deutschland aus einer solchen Auseinandersetzung viel hätte lernen können: „über die Bedeutung von ressortübergreifender Zusammenführung von Warnzeichen; über die Dringlichkeit einer korrekten Konfliktanalyse; über den Wert einer akkuraten Medienberichterstattung in komplexen Krisensituationen; über die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Aufmerksamkeit; über die Wichtigkeit einer schnellen und entschlossenen Unterstützung der Vereinten Nationen; nicht zuletzt über die Bedeutung eigener politischer Initiativen.“

Das E-Paper ist hier auf der Seite der Heinrich-Böll-Stiftung abrufbar: Deutschland und der Völkermord in Ruanda.

 

 

Projekte von Genocide Alert anlässlich des 20. Gedenkens an den Völkermord in Ruanda

Genocide Alert organisiert gemeinsam mit verschiedenen Partnern in den nächsten Monaten eine Podiumsdiskussionsreihe in sechs Städten Deutschlands zur Fragestellung „20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda – Was haben wir gelernt?“. Die Reihe wird von der Bundeszentrale für Politische Bildung finanziert.

Zuletzt veröffentlichte die ZEIT vom 27.03.2014 den Artikel „Ruanda ist heute“ von Sarah Brockmeier, in dem sie mehr zivilgesellschaftliches Engagement für die Verhinderung von Völkermord fordert. Am 4. April argumentierte die stellvertende Vorsitzende von Genocide Alert außerdem im Deutschlandradio Kultur, dass Deutschland die eigene Rolle während des Völkermords in Ruanda aufarbeiten müsse.

Gemeinsam mit dem Land Rheinland-Pfalz organisierte Genocide Alert in diesem Jahr einen Essaywettbewerb in Rheinland-Pfalz für SchülerInnen ab der 11. Klasse zu den Lehren aus dem Völkermord. Der Gewinner des Wettbewerbs fuhr mit der Delegation von Rheinland-Pfalz zu den offiziellen Gedenkveranstaltungen nach Ruanda.

Vom Twitteracccount @Ruanda1994 berichtet Genocide Alert 2014 täglich von den Ereignissen in Ruanda im Jahr 1994. Ziel ist, den Völkermord in Erinnerung zu rufen und dabei die vor zwanzig Jahren weitgehend unbeachteten Ereignisse vor und nach dem Genozid hervorzuheben.

Alle Informationen zu den Projekten von Genocide Alert zu diesem Thema finden Sie auf unserer Projektwebseite zum Völkermord in Ruanda. Für Fragen und Anmerkungen kontaktieren Sie bitte sarah.brockmeier[at]genocide-alert.de.

Schüler setzen sich in Essaywettbewerb von Genocide Alert und Rheinland Pfalz mit Völkermord in Ruanda auseinander

Vor zwanzig Jahren geschah der Völkermord in Ruanda. Ohne ein entschiedenes Eingreifen und vor den Augen der Weltöffentlichkeit wurden innerhalb von nur 100 Tagen über 800.000 Ruander ermordet und Millionen zur Flucht aus der Heimat gezwungen. Um diese Fragen zu diskutieren und an den Völkermord in Ruanda zu erinnern, haben Genocide Alert und die Landesregierung Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2014 einen Essaywettbewerb für alle Schüler/innen ab der 11. Klasse in Rheinland-Pfalz ausgeschrieben. Dieser ist nun  abgeschlossen. Die Jury hat durchweg hochwertige Zusendungen erhalten und es war eine knappe Entscheidung. Trotz der schweren Wahl, konnte sich die Jury letztlich einigen: Der Gewinner des Essaywettbewerbs ist Jan Casper vom Stefan-George-Gymnasium Bingen am Rhein mit seinem Essay zur Macht der Sprache. Auf Platz zwei findet sich Matthias Meyer vom Thomas-Morus-Gymnasium Daun. Drittplatzierte ist Helen Bremm, die das Herzog-Johann-Gymnasium in Simmern im Hunsrück besucht.

„Es ist gut, dass sich auch Schülerinnen und Schüler für diese wichtige soziale Sache engagieren und sich kritisch mit den historischen Ereignissen in unserem Partnerland auseinandersetzen“, betonten die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen und Innenminister Roger Lewentz in diesem Zusammenhang. Genocide Alert freut sich mit diesem Essaywettbewerb zur Stärkung der seit 1982 bestehenden Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz mit Ruanda beigetragen zu haben. Die Essays zeugten von einer intensiven Beschäftigung der Schülerinnen und Schüler mit dem Völkermord in Ruanda und seinen Folgen. Einige der Essays, wie auch das des Gewinners Jan Casper, zogen Parallelen zu heutigen Ereignissen in Deutschland. So fordert Casper mehr Sensibilität im Umgang mit Sprache an. In Ruanda habe manipulierende und aufhetzende Sprache in den Medien den Völkermord mit ermöglicht.  Eine Gefahr des Sprachmissbrauchs bestehe immer, das zeigten Stigmatisierungen wie „Armutsmigrant“ oder „Homo-Propaganda“ mit welchen bestimmte Gruppen auch in Deutschland gezielt aus der Gesellschaft ausgegrenzt würden.

Der Verfasser des erstplatzierten Essays, Jan Casper, wird nun Anfang April zu den Gedenkfeierlichkeiten in Ruanda reisen und den für die Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda verantwortlichen Innenminister Roger Lewentz dorthin begleiten. Der Flug wird von Brussels Airlines finanziert. Die  Zweit und Drittplatzierten werden einen Bücherpreis erhalten.

Die offizielle Preisverleihung erfolgt im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung des Innenministeriums RLP und Genocide Alert am Mittwoch den 15. Mai 2014 ab 19.00 Uhr im Wappensaal des Landtags Rheinland-Pfalz. Die Veranstaltung ist öffentlich und als Podiumsdiskussion konzipiert, zum Thema „Was haben deutsche NGOs aus ihrer Rolle in Ruanda 1994 gelernt“. Den aktuellen Stand der Veranstaltungsplanung finden sie hier.

Wir danken allen TeilnehmerInnen für Ihre Zusendungen.

» Die Gewinner und eine Auswahl der eingesendeten Essays sind hier zu finden.

 

Weitere Informationen:

» Pressemitteilung des Innenministeriums Rheinland-Pfalz zum Ergebnis des Essaywettbewerbs

» Ausschreibung des Essaywettbewerbs

» 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda: Was haben wir gelernt?

 

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Vorschläge zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag

Emilia von Mettenheim und Torie Cochrane-Buchmüller

Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist nicht nur zur weltweiten Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen, sondern auch zu ihrer Vorbeugung von entscheidender Bedeutung. Eine Stärkung der überstaatlichen Justiz ist ein wichtiges Mittel, um auf internationaler Ebene faire Verfahren zu gewährleisten. Der angedrohte Austritt Kenias beeinträchtigt derzeit allerdings die Glaubwürdigkeit des internationalen Gerichtsorgans in Den Haag. Eine Unterstützung des Strafgerichts durch die Bundesrepublik Deutschland in politischer sowie finanzieller Hinsicht ist daher wichtiger denn je. Insbesondere das Zeugenschutzprogramm des IStGH benötigt Förderung. 


Probleme laufender Verfahren vor dem IStGH

Obwohl das Gericht in Den Haag im März 2012 sein erstes Urteil verhängt hat und damit einen bedeutenden Milizenführer aus dem Ostkongo, Thomas Lubanga, hinter Gitter brachte, steht der IStGH noch immer vor Problemen: Die Gescheh-nisse rund um die laufenden Prozesse gegen die amtierenden Staatsoberhäupter von Kenia stellen derzeit die Glaubwürdigkeit des IStGH in Frage. Der erste Gerichtstermin wurde auf den 5. Februar 2014 angesetzt. Der amtierende Staatspräsident Kenyatta wird wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, die er während der Präsidentschaftswahlen 2007 begangen haben soll. Er weigert sich, in Den Haag vorstellig zu werden und plant den Rücktritt Kenias vom Römischen Statut. Derweil hat sich der UN-Sicherheitsrat gegen eine Aussetzung des Verfahrens ausgesprochen. Die Fronten verhärten sich zunehmend. Für den Schutz der Autorität des IStGHs ist es wichtig, dass Deutschland seine unterstützende Rolle gegenüber dem IStGH bestärkt und innerhalb wie außerhalb der EU Partner zur Festigung dieses Gerichtsorgans zu finden.

Die acht derzeit laufenden Verfahren in Den Haag richten sich gegen amtierende und ehemalige Regierungsmitglieder der Länder Sudan, Libyen, der Elfenbeinküste und Kenia. Weitere acht Verfahren gegen Rebellenführer und ihre Anhänger aus dem Kongo, Uganda und Sudan sind anhängig. Einige dieser Verfahren befinden sich im Schwebezustand, da die Beklagten flüchtig sind. In allen Prozessen geht es um die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Während es dem Gerichtshof nach wie vor an Handlungsfähigkeit mangelt, stellt der Fall Kenia nun seine allgemeine Zuständigkeit in Frage. Die Handlungsspielräume des IStGH müssen daher stärker durch die Mitgliedsstaaten deutlich ausgebaut werden.

Deutschland und der IStGH

Die Bundesrepublik gehört zu den größten finanziellen und politischen Unterstützern des Gerichtshofes. Solange sich jedoch Staaten wie die USA und die Volksrepublik China weiterhin der Mitgliedschaft verweigern, bleibt die Handlungsreichweite des IStGH eingeschränkt. Eine bloß symbolische Funktion des Gerichtshofes – und das steht nach wie vor zu befürchten – hätte schwerwiegende Folgen für die Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit und wäre ein Misserfolg der von der Bundesrepublik unternommenen Bemühungen um eine stärkere Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.

Auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte hat große Bedeutung für die allgemeine Anerkennung des Gerichtshofes in Den Haag. In Deutschland liegt das öffentliche Augenmerk auf den am Oberlandesgericht Stuttgart anhängigen Fällen gegen die zwei Milizenführer Ignace Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni aus dem Ostkongo. Ihnen wird die maßgebliche Beteiligung an Kriegsverbrechen im Kongo vorgeworfen. Sie sollen von Baden-Württemberg aus bewaffnete Milizen zu Mord und Vergewaltigungen angeleitet haben. Dieser Prozess wendet zum ersten Mal das Völkerstrafrecht (VstGB) an, welches das Römische Statut in deutsches Recht überführt. Damit können die Beklagten auch dann für Taten, die sie im Ausland begangen haben, in Deutschland vor Gericht gebracht werden, wenn diese nicht gegen Deutsche verübt wurden.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH

Trotz des Erfolges des IStGH sieht sich die internationale Strafgerichtsbarkeit mit großen Herausforderungen konfrontiert. Wichtig ist deshalb, dass die Unterstützung der Bundesregierung auch in der kommenden Legislaturperiode nicht nachlässt. Hierzu sind jedoch gezielte Maßnahmen erforderlich, die den Handlungsspielraum des Gerichts erweitern könnten.

Die finanzielle Unterstützung von derzeit 13,6 Millionen € durch den deutschen Staat sollte als gutes Beispiel bewahrt und perspektivisch weiter aufgestockt werden. Gerade zur Weiterverfolgung der derzeit anhängigen Fälle ist dieses Geld unverzichtbar und sollte als Bestandteil deutscher Konfliktprävention verstanden werden.

Neben finanzieller Unterstützung sollte diplomatisch auf diejenigen Mitgliedsstaaten eingewirkt werden, die sich ihrer Verantwortung entziehen wollen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung und anderer Unterstützer des IStGHs, zwischen den Gegnern Den Haags, dem Gerichtshof sowie den Anklägern zu vermitteln. Viel können hier auch die vor Ort stationierten politischen Stiftungen beitragen. Diese politische Aufgabe kann der Gerichtshof selbst nicht leisten. Der IStGH darf seine neutrale Funktion nicht verlieren.

Die kontinuierliche Überwachung der nationalen Prozesse nach dem VStGB wie in Stuttgart stellt in diesem Kontext ein vielbeachtetes Zeichen nach außen dar: Deutschland hat das Völkerstrafrecht in nationales Recht überführt und dient damit anderen Staaten als Vorbild. Deutschland sollte aktiver darauf hinwirken, dass andere Staaten diesem Beispiel folgen.

Um den Handlungsspielraum des IStGH zu erweitern und seine Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene zu stärken, ist zudem ein Ausbau des bestehenden Zeugenschutzprogrammes notwendig. Derzeit beteiligt sich Deutschland mit 900.000€ am Opferschutzfonds des IStGH. Hiermit werden die Opfer von Gräueltaten entschädigt. Es liegt auf der Hand, dass sich kaum Zeugen zu einem Fall finden lassen, wenn sich eine Anklageschrift gegen ein noch amtierendes Staatsoberhaupt richtet. Potenzielle Zeugen sehen sich und ihre Angehörigen in solchen Fällen zu Recht in Gefahr und verzichten auf eine Aussage, während die Anklageschrift in Den Haag mangels ergiebiger Prozessführungsgründe zurückgewiesen wird. Hiergegen hilft nur ein effektives Zeugenschutzprogramm.

 

Emilia von Mettenheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Torie Cochrane-Buchmüller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH – Genocide Alert Policy Brief 1-2014

Erfolgsbedingungen des Einsatzes in der Zentralafrikanischen Republik

Nach der Autorisierung eines Einsatzes von 6.000 afrikanischen und 1.600 französischen Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik durch die UN im Dezember, erwägt nun auch die EU, eigene Truppen zu entsenden. Sie könnte somit doch noch einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung schwerer Menschenrechtsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik leisten. Erforderlich sind dringend benötigte humanitäre Hilfsmaßnahmen wie auch weitere finanzielle und logistische Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union. Wie ein Blick auf die Hintergründe des Konfliktes zeigt, handelt es sich bei dessen jüngster Eskalation um eine Folge langjähriger Regierungsprobleme und chronischer Instabilität. Ungeachtet des Rücktritts von Präsident Djotodia aufgrund des Drucks seitens der Nachbarstaaten, wird ein längeres Engagement der internationalen Gemeinschaft erforderlich sein, um zukünftige Gräueltaten zu verhindern.

Seit der ehemalige Präsident François Bozizé am 15. März 2013 durch die mehrheitlich muslimischen Séléka-Rebellen unter Michel Djotodia gestürzt wurde, befindet sich die Zentralafrikanische Republik in einer dramatischen Gewaltspirale. Angesichts des Zusammenbruchs staatlicher Institutionen, teils anarchischer Zustände und zahlreicher Menschenrechtsverbrechen diverser Milizen steht das knapp 4,6 Millionen Einwohner zählende Land vor einer humanitären Katastrophe. Die Gewalt forderte bereits mehrere hunderte Tote. Fast zwanzig Jahre nach dem Völkermord in Ruanda bestand in Folge zunehmend interreligiöser Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik die unmittelbare Gefahr, dass eine Krise anhaltender Gewalt zu einem Völkermord eskaliert. Allein im Dezember starben trotz internationaler Truppenpräsenz über 1.000 Zentralafrikaner.

Sicherheitsratsresolution 2127

Die UN-Sicherheitsratsresolution 2127 am 5. Dezember 2013 sowie vorherige Debatten innerhalb der UN zu Zentralafrika zeigen die Sensibilität der internationalen Gemeinschaft seit dem Genozid in Ruanda. Die Resolution autorisiert ein Eingreifen französischer und afrikanischer Truppen und demonstriert die Bereitschaft, in Reaktion auf schwere Menschenrechtsverbrechen und der Gefahr eines Völkermordes in Zentralafrika, der Schutzverantwortung nachzukommen. Ziel ist es, eine weitere Eskalation zu verhindern und Menschenleben zu retten. Die Resolution ist aber auch Ausdruck des Versagens der regionalen „Economic Community of Central African States“ (ECCAS) und der langen, chronischen Instabilität in der Mitte Afrikas. Sowohl die zentralafrikanische Regierung unter dem neuen Präsidenten und ehemaligen Séléka-Führer Michel Djotodia, als auch ECCAS und die Afrikanische Union haben am 25. November 2013 vor dem UN-Sicherheitsrat um Unterstützung gebeten. Zuvor hatte der französische Präsident Hollande trotz der Präsenz von 250 französischen Soldaten am Flughafen der Hauptstadt Bangui ein Eingreifen ohne UN-Mandat abgelehnt.

Die UN-Resolution beschließt die Aufstockung der schon länger im Land stationierten „Mission for the consolidation of peace in Central African Republic“ (MICOPAX) der ECCAS. Dafür wurde ein bereits beschlossener Übergang von MICOPAX in eine „International Support Mission in the Central African Republic“ (MISCA) der Afrikanischen Union sowie die Stationierung von 1.600, schnell in Kampfhandlungen verwickelte, französischen Soldaten autorisiert. Zusätzlich verhängte der UN-Sicherheitsrat ein Waffenembargo. Schon MICOPAX fehlte es zur akuten Verhinderung von Gräueltaten an Truppenstärke sowie an logistischer und finanzieller Unterstützung. Das gilt auch für MISCA, die über 2.500 Soldaten verfügte und deren Zahl soll auf bis zu 6.000 steigen soll. Ein Blick auf die Hintergründe des Konflikts zeigt, dass MISCA wie zuvor MICOPAX an einer langfristigen Befriedung der zentralafrikanischen Republik scheitern wird, wenn die Ursachen der chronischen Instabilität des Landes nicht angegangen werden.

Hintergrund des Konfliktes: Chronische Instabilität

Die Zentralafrikanische Republik ist nicht erst seit März 2013 oder Dezember 2012 ein Ort von Instabilität. Seit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft 1960 sind dafür vor allem die zahlreichen Putsche kennzeichnend – teils unrühmlich mitgetragen durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Auch der im März 2013 durch die Séléka gestürzte François Bozizé erlangte das Präsidentenamt im März 2003 durch einen Staatsstreich.

Bozizé wurde seitdem zweimal durch Wahlen bestätigt. Effektive staatliche Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet erlangte er jedoch nie. Die Zentralafrikanische Republik wurde schon zuvor weitgehend von lokalen Rivalitäten um Diamanten und Gold sowie regionalen Konflikten dominiert. Wie die International Crisis Group bereits 2010 berichtete, sicherte sich Bozizé die Kontrolle über den Diamantensektor, um die eigene ethnische Gruppe zu bereichern, während die Bevölkerungsmehrheit unter großer Armut litt. Ein parasitärer Staat, Armut, Korruption und größtenteils nichtverfolgte Kriminalität erleichterten bewaffneten, kriminellen Gruppen und Rebellen das Anwerben neuer Rekruten zur Eroberung von Diamantengebieten erheblich. Derartige Einkommensquellen boten und bieten einen großen Anreiz für Rebellen und Kriminelle, sich nicht entwaffnen zu lassen.

Zur Destabilisierung trugen zudem Konflikte in den Nachbarstaaten bei. Der vom Tschad, Sudan, Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo und Kamerun umschlossene Binnenstaat wurde vor allem im Norden und im Osten immer wieder als Rückzugsgebiet für Kämpfer in den innerstaatlichen Konflikten der Nachbarstaaten genutzt. Dazu zählt etwa der Darfurkonflikt, aber auch die Zeit vor der Staatengründung des Südsudans. Ethnische Spannungen verursacht zudem der Rückzug der Lord’s Resistance Army (LRA) um Joseph Kony in den Nord-Osten der Zentralafrikanischen Republik. Dass die Zentralafrikanische Republik selbst in drei Flüchtlingslagern etwa 12.000 Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten beherbergt, während nun 64.000 Zentralafrikaner wiederum als Flüchtlinge in den Nachbarstaaten registriert sind, verdeutlicht die wechselseitige Instabilität der gesamten Region.

Der Bürgerkrieg

Notorische Governance-Probleme, eine traurige Bilanz an Menschenrechtsverletzungen und eine Marginalisierung der muslimischen Minderheit in der Zentralafrikanischen Republik resultierten bereits in mehrere Rebellionen unter François Bozizé. Die Séléka, ein Zusammenschluss zweier Rebellengruppen aus dem Nordosten der Republik, warfen Präsident Bozizé im Dezember 2012 die Verletzung eines Friedensabkommens von 2007 vor. Die hauptsächlich muslimischen Rebellen, die sich auch aus Kämpfern aus dem Tschad und dem Sudan und zu etwa 10% aus Anhängern anderer Religionen zusammensetzen, eroberten große Teile des Landes, bevor sie im Januar 2013 unter Vermittlung der Regionalorganisation ECCAS einem Waffenstillstandsabkommen zustimmten.

Eine nationale Einheitsregierung aus Bozizé, Opposition und Rebellenführern sollte unter Aufsicht von Friedenstruppen der MICOPAX die Region stabilisieren und über eine Road-Map im Februar 2016 zu Neuwahlen führen. Laut einer Analyse der International Crisis Group scheiterte dieser Transitionsprozess letztlich am Widerstand Bozizés, die Macht tatsächlich zu teilen.

Die Einnahme des Präsidentenpalastes durch Séléka-Rebellen am 24. März 2013 markierte somit nicht nur die Niederlage Bozizés sondern auch der MICOPAX vor Ort. Die Mission scheiterte aufgrund mangelnder Truppenstärke, logistischer Unterstützung, politischem Willen sowie Meinungsverschiedenheiten mit Südafrika, das auf Einladung Bozizés ebenfalls mit Truppen im Land präsent war. Im Gegensatz zu MICOPAX wurden diese in ein Gefecht mit den Séléka verwickelt, in dessen Folge sie sich aus Zentralafrika zurückzogen. Aufgrund der logistischen Probleme sah sich MICOPAX auch nach dem Putsch nicht in der Lage, Gräueltaten effektiv Einhalt zu gebieten und eine staatliche Ordnung wiederherzustellen – obgleich manche Truppen lokal maßgeblich zur Sicherung von Zivilisten beitrugen. Der im Ausland befindliche Ex-Präsident droht seitdem mit der Rückeroberung des Landes.

Zusammenbruch staatlicher Institutionen

Der selbsternannte und mittlerweile, am 10. Januar 2014  zurückgetretene Präsident und ehemalige Séléka-Führer Michel Djotodia war unterdessen nicht in der Lage, der Gewalt Einhalt zu bieten. Seitdem Djotodia angesichts der anarchischen Zustände die Séléka im September 2013 formell für aufgelöst erklärte, kommt es davon unbeeindruckt weiterhin zu intensiven Auseinandersetzungen zwischen Ex-Séléka, Unterstützern des ins Ausland geflüchteten ehemaligen Präsidenten Bozizé, diversen „Selbstverteidigungsgruppen“ wie der christlichen Anti-Balaka („Anti-Machete“ in Sango) und der ethnischen Gruppe der Gbaya. Staatliche Institutionen sind unterdessen zusammengebrochen, zivile Mitarbeiter geflohen und grundlegende staatliche Aufgaben zum Stillstand gekommen. Vor diesem Hintergrund bezeichnete Thierry Vircoulon, Projekt-Direktor der International Crisis Group für Zentralafrika, die Entwicklung als „coup de trop – the final push“ für die seit langem von Konflikten und humanitären Notstand gezeichnete Zentralafrikanische Republik.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Wie Human Rights Watch in einem ausführlichen Bericht über „die vergessene Krise“ festhielt, wurden allein zwischen März und Juni über 1.000 Hütten verbrannt. Vor allem die Séléka, aber auch Anti-Balaka, andere Milizen und Regierungstruppen, verübten zahlreiche Menschenrechtsverbrechen. Im Laufe des Konflikts dokumentierten UN-Mitarbeiter und Menschenrechtsorganisationen landesweit zahlreiche Massaker, gezielte Tötungen, willkürliche Festnahmen, den Einsatz von Folter, Vergewaltigungen und Banditentum. Etwa ein Jahr nach Beginn der Rebellion im Dezember 2012 befinden sich nach Daten der UN-Stelle für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten OCHA derzeit über 935.00 Zentralafrikaner auf der Flucht. Allein 512.000 von ihnen befinden sich in der Hauptstadt Bangui, 100.000 auf dem von französischen Truppen gesicherten Flughafen. Vor Ort tätige UNICEF-Mitarbeiter schätzen die Zahl der Kindersoldaten innerhalb der Milizen auf etwa 6.000, deren Rekrutierung nach dem Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ein Kriegsverbrechen darstellt.

Zusätzlich zu den Kampfhandlungen und Plünderungen steht das Land vor einer humanitären Katastrophe. Eine gemeinsame Studie der UN, diversen NGOs und der zentralafrikanischen Regierung zeigte bereits im März 2013, dass über eine Million der 4,6 Millionen Bürger Zentralafrikas vor der Gefahr einer Hungersnot stehen. Großen Teilen der verängstigten Bevölkerung bleibt nur die Wahl, entweder im Busch zu leben und dort zu hungern oder in urbane Gebiete zu fliehen, in denen sie oft weiteren Menschenrechtsverstößen ausgesetzt sind. Eine Situation, die sich angesichts der Plünderungen, schwacher Ernte und des Zusammenbruchs der Wirtschaft verschlimmern wird. Housainou Taal, Beauftragter des Welternährungsprogramms der UN für die Zentralafrikanische Republik, forderte im August 2013 unmittelbares humanitäres Engagement sowie die Respektierung von Zivilisten und sicheren Zugang für humanitäre Hilfe. Zuvor waren u.a. Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen und Caritas angegriffen worden. Die Verteilung dringend benötigter Nahrungsmittel sowie medizinische Hilfe gestaltet sich aufgrund der anhaltenden Gewalt und trotz der stationierten Soldaten selbst in der Hauptstadt und am Flughafen weiterhin als schwierig. Viele Teile des Landes sind unerreichbar. Gezielte Angriffe auf die internationalen Truppen haben zuletzt zugenommen und auch Gräueltaten gegenüber der Zivilbevölkerung sind nicht abgebrochen.

Handlungsoptionen

Angesichts der anarchischen Zustände ist es zunächst die Hauptaufgabe im Sinne der Schutzverantwortung die öffentliche Ordnung wieder herzustellen und den unmittelbaren Schutz von besonders gefährdeten Zivilisten in Bangui, Bossangoa und im Nordwesten des Landes zu gewährleisten. Dringend ist die vollständige Aufstockung der MISCA auf die geplanten 6.000. Hierfür stellen die USA Transportflugzeuge in Burundi und bisher 40 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Die EU beteiligt sich mit 50 Millionen US-Dollar. Zum Vergleich: Die UN-Mission im Südsudan mit etwa 7.600 Soldaten und 2.200 zivilen Mitarbeitern verfügt über ein Budget von 924 Millionen US-Dollar für 2013/14. Weitere logistische und finanzielle Unterstützung ist für einen Erfolg der schlecht ausgerüsteten MISCA in oft schwer zugänglichen Gebieten für einen unmittelbaren Erfolg essenziell.

Zur Stabilisierung ist die Errichtung sicherer Korridore für dringend benötigte humanitäre Hilfsmaßnahmen ein weiterer wichtiger Schritt. Wie Ärzte ohne Grenzen in einem offenen Brief am 12. Dezember 2013 deutlich machten, kommt es seitens der UN und ihrer Mitarbeiter vor Ort zu gravierenden Mängeln. Die humanitäre Hilfe seitens der UN vor Ort muss daher erheblich intensiviert werden. Der ausgearbeitete „Strategic Response Plan 2014“ ist unterdessen mit nur 11 der veranschlagten 247 Millionen US-Dollar massiv unterfinanziert. In Reaktion auf die jüngsten massiven Verschlechterungen der Situation und angesichts über 1,2 Millionen Hilfsbedürftiger, werden laut OCHA zudem 152,2 Millionen US-Dollar zur Soforthilfe benötigt.

Zur Verhinderung weiterer Gräueltaten zwischen Christen und Muslimen, die als Produkt und nicht als Grund der Rebellion anzusehen sind, sollte die UN Stabilisationsmaßnahmen, wie interreligiösen Dialog und dringend benötigte Wiederaufbauhilfe in betroffenen Gebieten einleiten. Zur Befriedung gehört auch ein Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm für Ex-Séléka, Anti-Balaka-Milizen und Anhängern Bozizés.

Bei aller Dringlichkeit zur sofortigen Hilfe muss klar sein, dass die Wiederherstellung der Ordnung im Staatsgebiet in jedem Fall eine langfristige Aufgabe darstellen wird. Hierfür ist angesichts der Landmasse bei Nicht-Kooperation der Milizen ein Ausbau der Truppenkontingente erforderlich. Die geplanten Soldaten werden bei anhaltender Gewalt landesweit nicht ausreichen. Die Afrikanische Union bei dieser Aufgabe zu unterstützen kommt dem Anspruch der AU nach, etwa wie in Somalia selbst zu einer Stabilisierung beizutragen. Wie in der Sicherheitsratsresolution 2127 festgehalten, sollte die Entwicklung im Land weiterhin genau beobachtet werden und eine mögliche Umwandlung der MISCA in eine UN-Mission im Auge behalten werden. Hierfür könnte laut Resolution Personal aus den UN-Missionen in den Nachbarstaaten bereit gehalten werden. Dieses scheint aktuell aber mit der Krise im Südsudan überlastet.

Truppen der Europäischen Union könnten bei diesen Aufgaben die französischen und Afrikanischen Soldaten entlasten. Die diskutierten 800 bis 1.200 Soldaten würden neben dem Schutz von Zivilisten auch durch Aufklärung, medizinische Unterstützung und Transporthubschrauber einen Beitrag zur Stabilisierung der Hauptstadt und zur Erleichterung der Arbeit von Hilfsorganisationen leisten können.

Das in der Resolution beschlossene Waffenembargo sollte aufrechterhalten werden, bis eine stabile politische Ordnung wieder hergestellt und eine politische Lösung gefunden ist. Zusätzlich zum Waffenembargo können gezielte Sanktionen gegen Personen verhängt werden, die sich an Gräueltaten beteiligen und Verhandlungen boykottieren. Wie jüngst in einem Policy Paper von Genocide Alert ausgearbeitet, können mit gezielten Sanktionen effektiv Gräueltaten verhindert werden, wenn sie als Teil einer Gesamtstrategie von anderen politischen Maßnahmen begleitet werden.

Die Zentralafrikanische Republik ist Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs. Verantwortliche für Menschenrechtsverbrechen und Gruppierungen, die Kindersoldaten einsetzen, sollten angeklagt werden. Die UN und die Übergangsregierung könnten hierfür ein Team zur Untersuchung begangener Straftaten ins Land entsenden und unterstützen. Ein Fokus der Truppen vor Ort sollte außerdem die Unterstützung und Absicherung des „UN Integrated Peacebuilding Office in the Central African Republic“ (BINUCA) sein, der vor dem Putsch bereits das Mandat hatte, die Einhaltung von Menschenrechten zu überwachen und bei der politischen Transition zu assistieren.

Letztlich zeigt der Blick auf den Hintergrund der Gewalthandlungen, dass es sich im Kern weder um einen religiösen, noch um einen aus dem Tschad und Sudan in die Zentralafrikanische Republik hereingetragenen Konflikt handelt. Um der Gefahr weiterer zukünftiger Gräueltaten zu begegnen, ist es essenziell, einen umfassenden und alle Akteure einschließenden politischen Diskurs zu erreichen und langfristig die Regierungsprobleme und die chronische Instabilität der Republik zu adressieren. Hierfür kann an der Arbeit des BINUCA angeknüpft werden. Der Plünderung der natürlichen Ressourcen und der weit verbreiteten Korruption muss entgegen gewirkt werden. Dies und eine Implementierung der Regulierungen des Kimberly Prozesses würde den Diamantensektor als potenzielle Einnahmequelle für Milizen und Kriminelle unattraktiver gestalten. Es müsste auch ein Modell gefunden werden, das Minderheiten aus den Randgebieten des Landes am politischen Prozess beteiligt. Stabilität in der Zentralafrikanischen Republik herzustellen und dauerhaft Gräueltaten zu verhindern, wird die geduldige und langwierige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erfordern.

Deutsche Soldaten für Südsudan: Außenansicht aus der Süddeutschen Zeitung

Dieser Artikel von der stellvertretenden Vorsitzenden von Genocide Alert, Sarah Brockmeier, erschien am 9. Januar 2014 in der Süddeutschen Zeitung. 

Neues Jahr, neue Bundesregierung. Alte Gleichgültigkeit. Im Südsudan sind Tausende Menschen in akuter Lebensgefahr. Die Deutschen schicken Lebensmittel und Medikamente und empfehlen eine friedliche Lösung. Damit, so finden sie, haben sie ihren Beitrag geleistet.

Seit Mitte Dezember herrscht im Südsudan, der sich 2011 vom Sudan abgespalten hat, Bürgerkrieg: Die Lager des Präsidenten Salva Kiir und des Rebellenführers und früheren Vize-Regierungschefs Riek Machar kämpfen um die politische Macht. Es ist ein Kampf entlang ethnischer Grenzen. Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, werden angegriffen und ermordet, allein weil sie der einen oder anderen Gruppe angehören. Die Vereinten Nationen zählen schon weit über tausend Todesopfer; ihren Schätzungen zufolge sind etwa 200 000 Menschen auf der Flucht. Mehr als 60 000 davon suchen seit Ende Dezember auf den Stützpunkten der 7000 Blauhelme und etwa tausend UN-Polizisten Zuflucht, die den Aufbau des neuen Staates absichern sollen.

Am 24. Dezember beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig, 5500 zusätzliche Soldaten und Polizisten in den Südsudan zu schicken, um so viele Zivilisten wie möglich zu schützen. Doch woher sollen diese zusätzlichen Truppen kommen? Kurzfristig zog das UN-Sekretariat Einheiten aus dem Kongo ab, obwohl die Situation dort alles andere als stabil ist, und bittet Regierungen weltweit um Personal, Lufttransport- und Luftaufklärungsfähigkeiten.

Bangladesch schickt 1000 Soldaten in den Südsudan. Australien bot an, Truppen anderer Länder einzufliegen. Und Deutschland? Der Außenminister begrüßte den Beschluss des Sicherheitsrates mit den Worten: „Die internationale Gemeinschaft handelt.“ Deutschland, so Frank-Walter Steinmeier, engagiere sich mit humanitärer Hilfe und „entwicklungspolitisch“. Im Übrigen sei er froh, dass die Bundeswehr inzwischen die deutschen Staatsbürger ausgeflogen habe. Damit scheint die Debatte in Deutschland beendet.

Die Bundeswehr konnte innerhalb weniger Tage die deutschen Staatsbürger evakuieren. Sie hat die logistischen Fähigkeiten, UN-Truppen schnell dorthin zu verlegen, wo sie Menschenleben retten können. Deutschland ist bereits seit Jahren im Südsudan aktiv, an der UN-Friedenstruppe dort ist die Bundeswehr derzeit mit zwölf Stabsoffizieren beteiligt. Das Mandat für bis zu 50 Soldaten wurde im Bundestag erst Ende November, kurz vor Ausbruch der Kämpfe, mit 541 Ja-Stimmen verlängert. Die Offiziere halfen bislang bei der Koordinierung von Kranken- und Verletztentransporten oder der Lieferung von Trinkwasser. Diese Leistungen werden dringender gebraucht als je zuvor: Jeder zusätzliche Bundeswehrsoldat vor Ort wäre ein Gewinn. Die Bundesregierung müsste noch nicht einmal ein neues Mandat beschließen, sie könnte ihren Beitrag vervierfachen, indem sie das bestehende Mandat ausschöpft. Doch noch nicht einmal das scheint erwogen zu werden. Politik, Zivilgesellschaft und Medien schweigen dazu.

Dass die UN den Südsudan unterstützen, liegt sowohl im deutschen wie im europäischen Interesse. Der deutsche Staat hat seit 2009 mehr als 800 Millionen Euro im Sudan und Südsudan in Staatsaufbau und Stabilisierung investiert.

Deutschland hat ein starkes Eigeninteresse an Stabilität vor seiner Haustür: Der Südsudan ist näher als Afghanistan. Und es hat ein Interesse an sicherheitspolitischer Glaubwürdigkeit über Afghanistan hinaus. Ein umfangreicherer und wirksamerer Beitrag zu UN-Friedensmissionen würde Deutschland nicht nur bei den Vereinten Nationen, sondern auch in Fragen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mehr Gestaltungsmöglichkeiten verleihen. Partner wie Frankreich und Großbritannien wirksam zu kritisieren setzt voraus, dass man gleichzeitig auf eigene Beiträge und effektives Engagement verweisen kann.

Warum wird ein stärkeres Engagement in einer so akuten Krise nicht zumindest diskutiert? Drei Argumente, die nicht ausreichend hinterfragt werden, sind die Ursache, dass diese Debatte erst gar nicht beginnt.

Erstens: Deutschland tut doch schon so viel. Es schickt humanitäre Hilfe und engagiert sich politisch. Richtig ist: Der Konflikt zwischen Salva Kiir und Riek Machar muss politisch gelöst werden. Die internationale Gemeinschaft drängt die Parteien an den Verhandlungstisch. Doch üben sich beide in Verzögerungstaktik, das lässt nicht auf eine schnelle Lösung hoffen. Selbstverständlich brauchen die Südsudanesen humanitäre Hilfe, etwa Medikamente. Doch das hilft nicht gegen Mord und Vergewaltigung. Für viele, die heute um ihr Leben fürchten, bleibt nur der Schutz der Blauhelme.

Zweitens: Es ist nicht Deutschlands Aufgabe, das müssen die UN machen, oder die Europäische Union. Das stimmt, doch weder UN noch EU haben eigene Friedenstruppen – sie können nur das leisten, was die Mitgliedsstaaten beitragen. Der neuen Bundesregierung ist das bewusst, wie im Koalitionsvertrag zu lesen ist: „Zur Erfüllung ihrer friedenswahrenden Aufgaben benötigen die Vereinten Nationen eine angemessene Ausstattung für ihre Friedensmissionen, damit effektive multilaterale Friedenspolitik betrieben werden kann.“ Deutschland kann dabei relevante Beiträge leisten, es ist beispielsweise eines von sehr wenigen Ländern, die nennenswerte Lufttransportfähigkeiten anbieten könnten.

Drittens: Afrika ist weit weg, Deutschland muss die Afrikaner dazu befähigen, ihre Probleme endlich selbst zu lösen. Das ist richtig, doch „Ertüchtigung“ ist eine langfristige Strategie, sie wird für Tausende Zivilisten zu spät kommen. Tatsächlich spielen Kenia und Äthiopien bereits eine führende Rolle bei der Suche nach einer Verhandlungslösung, und afrikanische Länder stellen einen großen Teil der Truppen für die UN-Mission. Was fehlt, sind die Ressourcen, um die Menschen im Südsudan kurzfristig zu schützen.

Die Deutschen können sich entscheiden, es bei humanitärer Hilfe und ernsten Ermahnungen ihres Außenministers zu belassen. Dann müssen sie aber die Konsequenzen klar benennen, statt auf die UN, die EU oder die Afrikanische Union zu verweisen, als würden diese ihren Beitrag übernehmen. Viele Menschen, die auf schnellen Schutz angewiesen sind, werden diesen nicht bekommen. Die Bundesregierung, der Bundestag, die Zivilgesellschaft, jeder einzelne Wähler kann sich entscheiden, nicht mehr zu tun. Aber für die Menschenleben, die die Deutschen retten könnten, kann und wird kein anderer die Verantwortung übernehmen.

 

Resolution ohne Schutzwirkung: Warum die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen nicht ausreicht

Als 190. Mitglied ist Syrien am 14. Oktober 2013 der Chemiewaffenkonvention beigetreten. Die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen durch die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) wäre historisch. Von der UN-Resolution 2188 des 27. Septembers 2013 lässt sich das nicht behaupten. Die UN-Resolution und der Beitritt Syriens zur OPCW werden weder den Bürgerkrieg entscheidend beeinflussen, noch die Sterberate merkbar senken. Denn wie Kenneth Roth, Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, in seiner Reaktion auf die Verleihung des Friedensnobelpreises treffenderweise bei Twitter deutlich machte, sterben 98% der Syrer nicht durch chemische, sondern durch konventionelle Waffen.

Dessen ungeachtet wird mit der, durch die UN-Resolution 2188 beschlossenen, Vernichtung der Chemiewaffen eine gefährliche Komponente des Bürgerkrieges in Syrien entschärft. Das war vor Kurzem noch undenkbar. Angesichts der Interventionsvorbereitungen der USA kam es zur ersten bindenden Sicherheitsratsresolution seit zweieinhalb Jahren Bürgerkrieg. Es ist fraglich, ob dies ohne Androhung militärischer Gewalt geschehen wäre. In der UN-Resolution aber einen Durchbruch der UN-Diplomatie zu sehen, ist verfrüht. Zumindest hinsichtlich einer politischen Lösung des Konflikts und der Wahrnehmung der Schutzverantwortung, nach der Zivilisten vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen sind. Dazu zählen Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen. Menschenrechtsverletzungen werden in Syrien vor allem mit konventionellen Waffen verübt. Wenn die UN-Resolution keine Ablenkung davon, sondern einen Schritt zur Lösung darstellen soll, gilt es, den Moment zu nutzen und Verhandlungen zu initiieren. Ansonsten hat dies mit einer Lösung des Konflikts und der gemeinsamen Wahrnehmung der Schutzverantwortung gegenüber dem syrischen Volk bisher wenig zu tun. Was genau bedeutet also die Arbeit der OPCW, als auch der Beitritt Syriens zur Chemiewaffenkonvention für den syrischen Bürgerkrieg?

Die UN-OPCW-Mission in Syrien

Bis zum 1. November 2013 sollen zunächst alle Produktions- und Anreicherungsstätten und bis Mitte 2014 das gesamte chemische Waffenarsenal abgerüstet werden. Die OPCW hat nach eigenen Angaben 5.000 Inspektionen in 86 Staaten abgeschlossen und etwa 58.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe vernichtet. Rund 100 ihrer Mitarbeiter sollen in Syrien die Abrüstung des Chemiewaffenarsenals überwachen. Ein viel zitierter französischer Geheimdienstbericht schätzte das Arsenal auf etwa 1.000 Tonnen VX und mehrere hundert Tonnen Sarin. Ihre Zerstörung wäre ein historisches Novum, sowohl bezüglich ihres Umfangs als auch ihrer Durchführung inmitten eines Bürgerkrieges. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die OPCW ist konsequent, aber eher Versprechung als Belohnung für die Arbeit in Syrien. Der Generalsekretär der OPCW, Ahmet Üzümcü, erklärte auf einer Pressekonferenz zu Syrien, der Zeitplan sei eng, bei Kooperation aller Parteien aber erreichbar.

Ob tatsächlich alle Akteure im syrischen Bürgerkrieg an einer Vernichtung des gesamten Chemiewaffenarsenals interessiert sind, ist schon hinsichtlich Assad und mindestens dschihadistisch-salafistischer Terrororganisationen wie der ‚al-Nusra-Front‘ und der ‚Islamischer Staat im Irak und der Levante‘ (ISIS) fraglich. Dies bedeutet nicht, dass gezögert werden sollte. Im Gegenteil: Eine der Hauptsorgen der internationalen Gemeinschaft war das Szenario, dass derartige Terrororganisationen im syrischen Bürgerkrieg chemische Massenvernichtungswaffen erobern könnten. Es bedeutet aber, dass die gemeinsame Mission der OPCW und der UN logistisch abgesichert werden muss. Diese Aufgabe wird die UN übernehmen.

Syriens Beitritt zur Chemiewaffenkonvention

Die 1997 in Kraft getretene Chemiewaffenkonvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen ist mit dem Beitritt Syriens einen bedeutenden Schritt vorangekommen. Assad wird durch die Zusammenarbeit bei der Zerstörung seines Chemiewaffenarsenals zu einem Partner. Politisch schwächt dies die Opposition, deren Exilregierung der Nationalen Koalition von über 100 Staaten als die legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt wurde. Diese Legitimitätsaufwertung Assads ist aber schlicht alternativlos, da Assad die Kontrolle über das Chemiewaffenarsenal besitzt.

Das Angebot zu ignorieren hätte dem Grundsatz der Schutzverantwortung widersprochen, demzufolge der Einsatz von Gewalt ein proportionales Mittel zum Erreichen des Zieles darstellen müssen. Auch hinsichtlich begrenzter Luftschläge zu Abschreckung weiterer Chemieangriffe war dies nicht unumstritten. Letztlich vernichtet worden wären die Bestände und deren Einsatzmöglichkeiten zudem nicht. Die Frage steht im Raum, ob die Androhung von Gewalt damit das erreicht hat, was zuvor nicht erreicht wurde: Eine friedliche Einigung und die Verabschiedung einer UN-Sicherheitsratsresolution. Der deutsche Außenminister Westerwelle kommentierte, der UN-Sicherheitsrat habe seine „jahrelange Lähmung überwunden und Handlungsfähigkeit im Umgang mit der Krise in Syrien gezeigt“, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach von einer „historischen“, der britische Außenminister Hague von einer „bahnbrechenden“ Resolution. Der amerikanische Außenminister Kerry sagte: „Wir haben zu unserer Verantwortung zurückgefunden, die Wehrlosen zu verteidigen“.

Die UN-Resolution kommt der Schutzverantwortung nicht nach

Doch die Verabschiedung der UN-Resolution täuscht. Der Stillstand der internationalen Gemeinschaft bezüglich des syrischen Bürgerkrieges wurde nicht durchbrochen. Denn zum einen kam sie nur zu Stande, da niemand ein ernsthaftes Interesse an einer erneuten Intervention im Nahen Osten hatte, selbst Obama nicht. Zum anderen zeigt eine Analyse der Resolution, dass für die Einigung nicht die Norm der Schutzverantwortung maßgeblich war, sondern vielmehr, dass kein UN-Sicherheitsratsmitglied ein Interesse an einer Schwächung der Chemiewaffenkonvention oder gar der Verbreitung von Chemiewaffen an Terroristen hat. Mit einer gemeinsamen Wahrnehmung der Schutzverantwortung gegenüber dem syrischen Volk hat dies nur indirekt zu tun. Mit einer Einigung auf eine gemeinsame Position bezüglich des syrischen Bürgerkrieges gar nichts.

Chemische Waffen haben in diesem Bürgerkrieg bisher keine entscheidende Rolle gespielt. Die Giftgaseinsätze waren zweifellos schrecklich. Dennoch wurden über 100.000 Menschen nicht durch chemische, sondern durch konventionelle Waffen getötet. Strategisch dürfte Assad der Verzicht also kaum treffen. Die überwältigende Mehrheit der Massaker wurde mit konventionellen Waffen verübt. Die Zerstörung der Chemiewaffen allein wird den jetzigen Stand des Bürgerkrieges insgesamt weder beeinflussen, noch zukünftige Massaker und Kriegsverbrechen verhindern. Sie wird jedoch einen drohenden künftigen Gebrauch solcher Waffen verhindern.

Die UN-Resolution bedeutet auch, dass eine Intervention zumindest so lange nicht wieder zur Debatte steht, wie sich die Mitarbeiter der OPCW in Syrien aufhalten. Wenn dies für Assad im Umkehrschluss aber nicht bedeuten soll, dass er bis zum Ende des Einsatzes Mitte 2014 den Krieg wie bisher mit konventionellen Mitteln und Kriegsverbrechen weiter fortführen kann, dann müssen die Sicherheitsratsmitglieder eine gemeinsame Position hinsichtlich des syrischen Bürgerkrieges und der Schutzverantwortung gegenüber dem syrischen Volk entwickeln. Dass dies bisher nicht geschehen und das Verhältnis der Sicherheitsratsmitglieder weiterhin von Misstrauen und Eigeninteressen geprägt ist, zeigt auch die Abschwächung der Resolution durch Russland, durch die Assad bei Nichtbefolgung keine automatischen Sanktionen drohen. Bezüglich einer politischen Lösung verweist zudem lediglich Artikel 16 auf das Genfer Kommuniqué, das bereits im Juni 2012 ausgearbeitet wurde und nie in Kraft getreten ist. Artikel 17 fordert daran anknüpfend eine neue Syrien-Konferenz in Genf einzuberufen. Zwar muss man sich hierfür noch auf die Teilnehmer geeinigt werden. Sollte dies aber gelingen, rückt zumindest die Chance auf eine politische Lösung näher. Für einen Erfolg von Genf II muss sich die internationale Gemeinschaft aber bis zum geplanten Termin Mitte November 2013 den veränderten Realitäten in Syrien und den Anforderungen der Schutzverantwortung stellen.

Die Schutzverantwortung ernst nehmen

Wenn weitere schwere Menschenrechtsverletzungen verhindert werden sollen, müssen Eigeninteressen der Sicherheitsratsmitglieder und auch ihr Misstrauen untereinander überwunden werden. Dazu gehört auch, sich mit der Zersplitterung und dem Extremismus weiter Teile der syrischen Opposition auseinander zu setzen, die sich zunehmend entlang von ethnisch-konfessionellen Konfliktlinien sowie Exil- und Lokalorganisationen aufspaltet. Die bisherige Praxis zwischen Parteilichkeit und Tatenlosigkeit führte dementgegen zu einer Radikalisierung, durch die in der Opposition gut vernetzte und finanziell sowie waffentechnisch hochgerüstete islamistische Verbände die Oberhand gewinnen. Terrorangriffe, Massaker und andere Menschenrechtsverbrechen derartiger Gruppen erfüllen inzwischen das Narrativ Assads, mit dem er die gesamte gemäßigte Opposition zu Beginn des Konfliktes diffamierte, als diese demokratische Reformen und ein Ende der Korruption forderte.

Zur Linderung der humanitären Tragödie sind zudem die sofortige Intensivierung humanitärer Hilfe sowie die Etablierung sicherer Hilfskorridore in Syrien dringend erforderlich. Zu den Hilfsbedürftigen innerhalb Syriens zählen inzwischen über 6,8 Millionen Syrer, darunter 4,25 Millionen Binnenflüchtlinge. Das Programm der UN zur Hilfe der Bevölkerung innerhalb Syriens (SHARP) ist mit veranschlagten 1,14 Milliarden US-Dollar bisher erst zu etwa 56% finanziert. Hinzu kommen über zwei Millionen Flüchtlinge, die vor allem von Syriens Nachbarstaaten Jordanien, dem Libanon, der Türkei, dem Irak und von Ägypten aufgenommen wurden. Dies zu ignorieren wäre nicht nur menschenrechtlich unverantwortlich, sondern würde auch die gesamte Region weiter destabilisieren. Hier gilt es, auch für Deutschland und die Europäische Union, der Verantwortung zur Aufnahme von Flüchtlingen intensiver nachzukommen und Aufnahmeprozesse zu erleichtern.

Letztlich gilt es zu verhindern, dass die zweite syrische Tragödie – neben dem Bürgerkrieg selbst – darin liegt, dass die internationale Gemeinschaft wieder dahin zurückfällt, bei schweren Menschenrechtsverletzungen tatenlos zuzusehen.

Jens Stappenbeck

Offener Brief an die UN Generalversammlung: Entwicklung und menschliche Sicherheit

Anlässlich des 68. Treffens der UN Generalversammlung wendet sich Genocide Alert zusammen mit weiteren NGOs in einem offenen Brief an die versammelten Staats- und Regierungschefs der Welt mit der Forderung, das Konzept der menschlichen Sicherheit als integralen Bestandteil der künftigen Entwicklungsagenda zu verankern.

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Politische Bekenntnisse ohne Folgen – Die deutsche Politik und die zögerliche Umsetzung der internationalen Schutzverantung.

Gregor Hofmann von der Hessischen Stiftung Friedens und Konfliktforschung geht in einem aktuellen HSFK-Standpunkt auf die deutsche Politik zur Schutzverantwortung ein. Er vertritt den Standpunkt, dass das Bekenntnis der Bundesregierung zur Schutzverantwortung bislang vor allem auf deklaratorischer Ebene bleibt, eine Strategie zu ihrer Umsetzung aber fehle. Und dies obwohl auf europäischer und internationaler Ebene immer mehr die Frage im Vordergrund stehe, wie die von der Schutzverantwortung adressierten Verbrechen effektiver verhindert werden können.

Deutschland habe aber eine historische Verantwortung in dieser Thematik international voranzuschreiten und verfüge zudem über genug Einfluss in der Welt, um die Agenda der Schutzverantwortung voranzubringen. Die in Deutschland bereits existierenden Instrumente der Konfliktprävention – der Aktionsplan zivile Krisenprävention, die Leitlinien der Bundesregierung zum Umgang mit fragilen Staaten sowie das Rahmenkonzept zur Unterstützung von Sicherheitssektorreformen – böten wertvolle Anknüpfpunkte. Diese Instrumente müssten, so Gregor Hofmann, weiter gestärkt und neu ausgerichtet werden. Denn auch wenn sich schwere Gräueltaten häufig in bewaffneten Konflikten ereigneten, so träten sie allzu oft auch außerhalb dieser auf.

Eine schnelle Reaktion erfordere dann spezifische Instrumente, welche nicht zwingend deckungsgleich mit Mitteln der Krisenprävention seien. Diese Instrumente müssten daraufhin analysiert werden, wie sie effektiv angewendet werden können, um auch tatsächlich Gräueltaten verhindern oder zügig darauf reagieren zu können. Gregor Hofmann ist neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der HSFK ehrenamtlich als Mitglied des Vorstandes bei Genocide Alert aktiv.

Hier der Link zu dem vollständigen Artikel.

Das Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl

Auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2005 verpflichteten sich ausnahmslos alle Staaten zur Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung, damit Zivilbevölkerungen in Zukunft besser vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschützt werden können. Die internationale Gemeinschaft hat sich hiermit die Aufgabe gegeben, Staaten bei der Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung zu unterstützen und im Notfall den Schutz bedrohter Bevölkerung zu erzwingen.

Mit diesem Zeugnis bewertet Genocide Alert, inwiefern die im Bundestag vertretenen Parteien sich dieser Verantwortung in der kommenden Legislaturperiode stellen wollen und für eine deutsche Außenpolitik eintreten, die dem Schutz der Menschenrechte, der Verhinderung schwerster Menschenrechtsverletzungen und einer Bestrafung solcher Verbrechen gewidmet ist.

Wie bereits beim letzten Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2009 stehen auch 2013 erneut Bündnis 90/Die Grünen an der Spitze. Das klare Bekenntnis der Grünen zum Menschenrechtsschutz und der Bekämpfung schwerster Menschenrechtsverbrechen bringt ihnen die Note 1 (sehr gut) ein. Auf Platz zwei liegt die FDP mit einer 2- (noch gut). Die Liberalen sprechen sich in ihrem Wahlprogramm ausführlich für eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik aus, hätten jedoch mit der Nennung konkreterer Maßnahmen in den Themen Menschenrechtsschutz und Krisenpräventionnoch besser abschneiden können. Im Mittelfeld finden sich die SPD sowie die CDU/CSU. Die Sozialdemokraten erreichen die Note 3- (noch befriedigend). Die SPD betrachtet Menschenrechte und Demokratie stets im Zusammenhang mit Frieden und Sicherheit, äußert sich allerdings nur vergleichsweise kurz zu den Themen Krisenprävention, Schutzverantwortung und dem Internationale Strafgerichtshof. Die weltweite Anerkennung der Menschenrechte setzten sich die Unionsparteien in ihrem Wahlprogramm explizit zum Ziel. Da konkrete Aussagen dazu im Wahlprogramm und auch in den Antworten auf unsere Wahlprüfsteine aber eher vage bleiben, erhalten die Christdemokraten mit der Note 4+ (voll ausreichend) ein für eine Regierungspartei ausbaufähiges Ergebnis. Abgeschlagen auf dem letzten Platz findet sich wie, bereits im Jahr 2009, Die Linke. Trotz häufiger Bekenntnisse zu Menschenrechten im Wahlprogramm, benennt die Linke keine Ideen, wie Deutschland aktiv zu einer besseren Einhaltung der Menschenrechte beitragen kann. Ihre Ablehnung UN-mandatierter Friedensmissionen und Skepsis gegenüber der Verwirklichung der internationalen Schutzverantwortung und Bestrafung schwerster Menschenrechtsverletzungen durch den Internationalen Strafgerichtshof zeichnen leider nicht das Bild einer verantwortungsbewussten Außenpolitik. Daher fällt die Linke mit der Note 5 (mangelhaft) als einzige Partei durch.

Das von Genocide Alert erarbeitete und herausgegebene Zeugnis umfasst eine Bewertung der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien sowie ergänzende Antworten der Bundestagsfraktionen auf die von Genocide Alert an sie gerichteten Wahlprüfsteine. Die Bewertung der Wahlprogramme erfolgte auf Basis eines Fragebogens mit 15 Fragen zu unterschiedlichen Bereichen des Menschenrechtsschutzes (siehe Kapitel „Methodik“). Die Bewertung erfolgte durch die Mitglieder von Genocide Alert. Streitfälle wurden in der Gruppe im Konsens entschieden. Ergänzt wurde die Bewertung der Wahlprogramme durch die Vergabe von bis zu drei Zusatzpunkten, entsprechend der Qualität der Antworten auf die von Genocide Alert an die Bundestagsfraktionen gestellten Wahlprüfsteine.

Hier können Sie das gesamte Genocide Alert Menschenrechtszeugnis herunterladen (pdf)

 

Hier kommen Sie direkt zu den Ergebnissen der einzelnen Parteien:

 

Wie antworteten die Fraktionen auf unsere Wahlprüfsteine? Hier finden Sie die Antworten im Detail: