Völkermord an den Armeniern: Diplomatische Rücksichtnahme darf Anerkennung nicht im Weg stehen

Vor einem Jahrhundert wurden weite Teile des armenischen Volkes im Osmanischen Reich in einem Völkermord ausgelöscht. Das Deutsche Reich war ein enger Verbündeter der damaligen osmanischen Regierung und stellte die Bündnispolitik über das Überleben der Armenier. Trotz möglicher diplomatischer Verstimmungen sollte Deutschland nicht davor zurückschrecken, den damaligen Völkermord als solchen ausdrücklich zu benennen. Weiterlesen

Zum 200. Geburtstag: Wie Bismarck die deutsche Außenpolitik des 21. Jahrhunderts sehen würde

Otto von Bismarck hätte den russischen Präsidenten Putin verstanden. Im Gegensatz zu Bundeskanzlerin Merkel wäre Bismarck dem Kreml in der Ukraine-Frage wohl weit weniger ablehnend begegnet als dies die heutige Bundesregierung tut. Das ist wenig verwunderlich, wird Moskau doch regelmäßig ein Politikverständnis des 19. Jahrhunderts attestiert.

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Vier Jahre Krise in Syrien

Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern erneute Initiative, den Vetogebrauch im UN-Sicherheitsrat einzuschränken

An diesem Sonntag, dem 15. März 2015, jährt sich der Beginn der Krise in Syrien zum vierten Mal. Seit über 1.460 Tagen überziehen das Assad-Regime – und in geringerem Ausmaß Teile der Opposition – die Zivilbevölkerung in Syrien mit einer skrupellosen Abfolge von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Weiterlesen

Genocide Alert Jahresbericht 2014

Genocide Alert freut sich, seinen Jahresbericht 2014 zu präsentieren.

Das Jahr 2014 war sehr erfolgreich für Genocide Alert. Im Jahresbericht 2014 können Sie sich nun neben einen kurzen Rückblick auf 2013 über unsere Projekte im vergangenen Jahr informieren.
Es erwartet Sie ein Bericht über die Ruanda-Veranstaltungsreihe (ein Großprojekt mit externer Förderung), dass wir in 2014 anlässlich des zwanzigsten Jahrestages des Völkermordes in Ruanda umsetzen konnten.

Zudem können Sie sich über die Veröffentlichungen von Genocide Alert informieren. So stießen besonders die Genocide Alert Policy Briefs in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft auf großes Interesse. Auch unsere Interviewreihen – zum Jahrestag des Völkermords in Ruanda, sowie zu den aktuellen Entwicklungen in Syrien –  sind sehr positiv aufgenommen worden.

Außerdem wurde Genocide Alert nie zuvor um eine Beteiligung an so vielen Veranstaltungen rund um die Themen Sicherheit, Konflikte und Völkermord angefragt, wie zuletzt. Auch hier erwartet Sie ein Überblick der Veranstaltungen, auf denen die Expertise von Genocide Alert vertreten waren.

Schlussendlich können sich Interessierte über die Beteiligungsmöglichkeiten bei Genocide Alert informieren und einen Blick auf die geplanten Vorhaben in 2015 werfen. Wir freuen uns über Ihr Interesse.

 

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Die Vertreibung der Jesiden – ein Völkermord?

Das Vorgehen des „Islamischen Staates“ gegenüber den Jesiden weist deutlich auf eine Vernichtungsabsicht hin. Soweit IS – Kämpfer nach Deutschland zurückkehren, werden die Gerichte sich damit auseinandersetzen müssen, wie die Handlungen juristisch einzuordnen sind. Das vorliegende Policy Brief erläutert die Vorgänge im Nordirak und deren Relevanz für das deutsche Strafrecht.

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Was bedeutet die Aufnahme von Vorermittlungen? Replik auf die israelische Kampagne gegen den IStGH

Zum 1. April 2015 nimmt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Vorermittlungen zu Massenverbrechen in Palästina auf. Dies löste vor allem in Israel, den USA und Kanada eine Welle der Kritik aus, die sich besonders gegen die einseitige Vorgehensweise der Palästinenser richtet, die als Verstoß gegen die Osloer Verträge wahrgenommen wird. Entgegen eines Ratschlages ihres Außenministeriums entschied sich die israelische Regierung, nicht nur die Einstellung der Vorermittlungen, sondern gar die Abschaffung des Internationalen Strafgerichtshofes selbst zu fordern. So bezeichnete der israelische Außenminister Avigdaor Liberman den IStGH im Endeffekt als terrorismusfördernd, israelfeindlich und unbrauchbar. Eine Überreaktion, die Gefahr läuft internationale Strafgerichtsbarkeit zu diskreditieren und es Israel erschwert, auf die Kriegsverbrechen der Hamas aufmerksam zu machen. Von den Vorermittlungen, die in Palästina kein Novum darstellen, sind keine schnellen Ergebnisse zu erwarten. Sie werden Jahre dauern und außerdem die Möglichkeit bieten, die Hamas für ihre Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen.

Die Aufnahme von Vorermittlungen

Vorweg: Die am 16. Januar 2015 von Fatou Bensouda als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes verkündeten Vorermittlungen zu der Situation in Palästina sind genau das: Vorermittlungen. Ihre Aufnahme bedeutet weder, dass an Massenverbrechen Beteiligte angeklagt werden, noch, dass überhaupt für den Gerichtshof relevante Verbrechen begangen wurden. Vorermittlungen dienen der Prüfung, ob die Kriterien des Römischen Status (Artikel 53) für eine weitere Ermittlung gegeben sind. Diese Vorprüfung erfolgt durch eine Kammer im Gerichtshof, die später nicht das Verfahren durchführen wird. Sie dient auch der Feststellung, ob hinreichend Beweise vorliegen könnten. Das heißt, es muss zumindest die Möglichkeit einer Rechtsverletzung hinreichend dargelegt werden. Für die Richter der entsprechenden Kammer besteht bei Zweifel an dieser Voraussetzung außerdem die Option, diesen in einem Minderheitsvotum darzulegen. Richter Hans-Peter Kaul nutzte diese Möglichkeit dreimal bei den Vorermittlungen des IStGHs zu den Straftaten in Kenia nach den Wahlen 2007/2008.

Bensouda verwies in ihrem Statement nachdrücklich auf diese Standardprozedur für Vorprüfungen, die im Policy Paper on Preliminary Examinations des IStGHs festgehalten ist. Die Vorermittlungen beruhen auf dem Gerichtshof präsentierten Fakten und Informationen und erfolgen unter den Prinzipien der Unabhängigkeit, der Unparteilichkeit und der Objektivität. Die zu prüfenden Kriterien umfassen sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen einer noch nicht erhobenen Klage: Hierin liegt unter anderem die Zuständigkeit des Gerichtes selbst, sowie ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse an den Ermittlungen. Konkret werden sich die Vorermittlungen insbesondere auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit und den Grundsatz der Komplementarität fokussieren.

Die (erneute) Selbstüberweisung der Palästinenser

Die Vorermittlungen resultieren aus einer Selbstüberweisung der Palästinenser an den IStGH, die der palästinensische Präsident Mahmud Abbas im Fall eines Scheiterns einer UN-Resolution Ende 2014 ankündigte. Diese hätte Israel unter anderem innerhalb von drei Jahren zum Abzug aus den Palästinensergebieten verpflichtet. Die Palästinenser erkannten damit die zeitliche Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für mögliche Verbrechen auf dem von ihnen kontrolliertem Gebiet ab dem 13. Juni 2014 an.

Ein Schritt, der im Übrigen kein Novum darstellt. Bereits am 22. Januar 2009 reichte die Palästinensische Autonomiebehörde eine Selbstüberweisung beim IStGH ein, in der sie dem Gerichtshof eine zeitliche Zuständigkeit ab dem 1. Juli 2002 zusprachen. Auch damals nahm der IStGH Vorermittlungen auf, die erst im April 2012 zu einem Abschluss kamen: Der IStGH lehnte die Ermittlungen mangels formaler Zuständigkeit ab.

Die damalige Palästinensische Autonomiebehörde wurde zwar von 130 Staaten in bilateralen Beziehungen als Staat anerkannt und besaß in der UN einen Beobachterstatus, nicht aber den [Status] eines „non member observer states“. Nach Artikel 12 des Römischen Status können jedoch nur staatliche Akteure die Strafgerichtsbarkeit des Gerichtshofes anerkennen und entsprechend nach Artikel 125 eine Selbstüberweisung beim UN-Generalsekretär einreichen. Bei kontroverser Staatlichkeit sei es gemäß der Erklärung des IStGHs Praxis, dass der Generalsekretär sich an Entschlüssen der UN-Generalversammlung orientiere. Da es explizit nicht im Zuständigkeitsbereich des IStGHs liege, eine solche Einstufung selbst vorzunehmen, konstatierte der IStGH angesichts des reinen Beobachterstatus der Autonomiebehörde eine fehlende Staatlichkeit, stellte aber künftige Ermittlungen im Falle einer Anerkennung durch die Generalversammlung in Aussicht.

Am 29. November 2012 erkannte die UN-Generalversammlung die Palästinensische Autonomiebehörde als „non member observer state“ an und ermöglichte die jetzige Selbstüberweisung und den Beitritt. Entsprechend verkündete Ban Ki-moon Anfang Januar im Anschluss an die Unterzeichnung den Beitritt der Palästinenser zum Römischen Statut zum 1. April 2015. Folglich kann seitdem von der formalen Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ausgegangen werden.

Israelis und Palästinenser sind gleichermaßen betroffen

Durch die Selbstüberweisung und den Beitritt Palästinas hat der IStGH nunmehr die Befugnis, gegen israelische Akteure zu ermitteln, insofern diese relevante Verbrechen auf palästinensischem Boden verübt haben. Dazu zählen alle natürlichen Personen (Artikel 1), die mindestens 18 Jahre alt sind (Artikel 26). Auch diplomatische Immunität schützt nicht (Artikel 27). Darüber hinaus kann eine Vertragspartei den Gerichtshof zwar ersuchen, sich einer bestimmten Situation in einem begrenzten Zeitraum anzunehmen; einseitige Ermittlungen gegen eine bestimmte Konfliktpartei schließt dies aber explizit aus. Das bedeutet, dass sämtliche relevanten Verbrechen mit territorialen oder personellen Bezug zu Palästina zum Gegenstand der Vorprüfung werden, explizit also auch solche von palästinensischen Akteuren.

Materielle Zuständigkeit: Wurden Massenverbrechen begangen?

Auch wenn Israel die formale Zuständigkeit und die Staatlichkeit Palästinas weiterhin in öffentlichen Erklärungen dementieren wird, wird es für den IStGH bei den Vorermittlungen im Kern um die materielle Zuständigkeit gehen. Die materielle Zuständigkeit des IStGHs umfasst die im Römischen Statut aufgenommenen völkerrechtlichen Kernverbrechen (Artikel 5), Genozid (Artikel 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Artikel 7), Kriegsverbrechen (Artikel 8) und das Verbrechen des Angriffskriegs (Artikel 5). Der Gerichtshof wird also prüfen müssen, ob ausreichend schwere Hinweise auf diese Verbrechen im Rahmen der formalen, personellen und zeitlichen Zuständigkeit vorliegen.

Sowohl Human Rights Watch als auch Amnesty International weisen in aller Deutlichkeit auf die im Zuge des Gazakrieges und der Besatzungspolitik begangenen Menschenrechtsverletzungen hin. Dass zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorliegen, gerade auch in Form von Unterdrückung, Raketenangriffen und Attentaten palästinensischer Akteure wie der Hamas, steht außer Frage. Ob diese in ihrer Schwere aber relevant für weitere Ermittlungen des IStGHs sein werden, ist schwieriger zu beurteilen.

Einen Anhaltspunkt liefert die Entscheidung des IStGHs bezüglich der am 31. Mai 2010 von israelischen Truppen gewaltsam gestoppten „Gaza Freedom Flotilla“, die unter der Flagge der Union der Komoren in See stach. Am 14. Mai 2013 überwiesen die Komoren als Mitgliedsstaat den Fall an den IStGH, der am gleichen Tag mit den Vorermittlungen begann. Diese endeten am 06.11.2014 damit, dass die materielle Zuständigkeit nicht gegeben sei, obwohl mutmaßlich Kriegsverbrechen begangen wurden. In ihrem Statement erklärte Fatou Bensouda, die Chefanklägerin des IStGHs:

„(…) after carefully assessing all relevant considerations, I have concluded that the potential case(s) likely arising from an investigation into this incident would not be of „sufficient gravity“ to justify further action by the ICC. The gravity requirement is an explicit legal criteria set by the Rome Statute.

Without in any way minimizing the impact of the alleged crimes on the victims and their families, I have to be guided by the Rome Statute, in accordance with which, the ICC shall prioritize war crimes committed on a large scale or pursuant to a plan or policy.”

Bezüglich des jüngsten Gazakrieges wäre es für die Aufnahme von Ermittlungen gemäß des Römischen Status also nötig anzunehmen, dass 1.) Kriegsverbrechen als Teil eines Planes oder einer Politik oder 2.) in großem Umfang verübt wurden. Es reicht somit nicht aus, festzustellen, dass die israelische Armee, die Hamas oder die Gruppe „Islamischer Dschihad“ Kriegsverbrechen begangen haben. Bei der Hamas und dem Islamischen Dschihad könnte eine für den Internationalen Strafgerichtshof relevante Systematik anhand entsprechender Erklärungen zudem eher erkannt werden, wobei dann wiederum die Frage des Umfanges abzuwägen wäre.

Für Israel könnte sich die Siedlungspolitik als der kritischere Punkt erweisen. Gemäß des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten darf eine Besetzungsmacht nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln. Da zumindest hier von einer entsprechenden Systematik ausgegangen werden kann, könnte sich die von der israelischen Regierung jenseits der Grünen Linie betriebene Siedlungspolitik für den IStGH zu relevanten Kriegsverbrechen summieren. Israel verweist hier auf die in den Verträgen von Oslo getroffenen Abkommen mit den Palästinensern, in denen der Status der Siedlungen auf spätere Verhandlungen verschoben wurden. Eine Erklärung, die zumindest in einem nicht-bindenden Rechtsgutachtachten des Internationalen Gerichtshofs zurückgewiesen wurde, der allerdings keine Strafgerichtsbarkeit bezüglich Kriegsverbrechen besitzt. Es bleibt somit abzuwarten, ob sich der Internationale Strafgerichtshof dieser Beurteilung anschließt.

Zulässigkeit der Klage: Grundsatz der Komplementarität

Unabhängig von mutmaßlich begangenen Massenverbrechen will der IStGH zudem nationale Strafgerichtsbarkeit der Staaten nicht ersetzen und ist ebenfalls kein letztinstanzliches Rechtsmittelgericht, überprüft also keine Verfahren der nationalen Strafgerichtsbarkeit. Gemäß des Grundsatzes der Komplementarität (Artikel 17) kann der IStGH nur strafverfolgend tätig werden, wenn Staaten nicht willens oder nicht in der Lage sind, eine entsprechend schwere Straftat ernsthaft zu verfolgen. Auch während der Vorermittlungen des IStGHs haben Staaten so die Chance, selbstständig tätig zu werden und einem Verfahren des IStGHs zu entgehen.

So bemühte sich etwa Großbritannien um derartige Nachweise, als der IStGH entgegen starken Protestes der britischen Regierung Vorermittlungen in mutmaßliche Kriegsverbrechen britischer Soldaten im Irak aufnahm. Weist Israel nach, dass die vermeidlichen Verantwortlichen für die relevanten Fälle bereits vor eigenen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden, bestünde für den IStGH keine Grundlage für eigene Ermittlungen. Und tatsächlich bemüht sich Israel durchaus um die Einhaltung des internationalen Menschenrechtes und investiert Ressourcen in Ermittlungen zu möglichen Verstößen – ganz im Gegensatz zur Hamas oder dem Islamischen Dschihad.

Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird

Die Vorermittlungen des IStGHs in die Situation in Palästina werden Jahre dauern. Die weitaus weniger komplexen Vorermittlungen des IStGHs im Zuge der ersten Selbstüberweisung und der Gaza-Flottilia dauerten jeweils etwa eineinhalb Jahre. Der IStGH wird sowohl von israelischen und palästinensischen Akteure mutmaßlich begangene Kriegsverbrechen untersuchen und entsprechend seiner Praxis beiden Seiten ausreichend Zeit verschaffen, selbstständig tätig zu werden. Ob es schließlich zu Ermittlungen gegen Palästinenser und/oder Israelis kommen wird, ist bis zum Abschluss der Vorermittlungen weiterhin offen. Ganz abgesehen davon, dass es selbst bei laufenden Verfahren für den IStGH bei mangelnder Kooperation schwierig ist, eine Verurteilung herbeizuführen. So sah sich der IStGH zuletzt im Dezember 2014 gezwungen, das laufende Verfahren gegen den kenianischen Präsidenten Kenyatta aufgrund mangelnder Kooperation der kenianischen Regierung und einer mangelnden Grundlage an Beweisen einzustellen.

Der israelischen Regierung ist all dies bewusst, dennoch entschied sie sich, zu einem Boykott des Internationalen Strafgerichtshof aufzufordern, während die Hamas die Ermittlungen paradoxerweise öffentlich unterstützt – möglicherweise aufgrund ihrer ohnehin geringen Auslieferungswahrscheinlichkeit. Eine Bitte zum Boykott richtete die israelische Regierung offenbar auch an die Bundesregierung. Diese Fehlentscheidung resultierte wesentlich aus der Annahme israelischer Politiker, ihr Staat stünde aus anti-israelischen Erwägungen heraus ungerechtfertigt im Fokus des Gerichtshofs. Der israelische Außenminister Liberman argumentiert etwa: „Dasselbe Gericht, dass es nach mehr als 200.000 Toten nicht für angebracht hielt, in Syrien, Libyen oder anderen Orten einzuschreiten, findet es nun erstrebenswert, die moralischste Armee der Welt zu ‚untersuchen‘“.

Genocide Alert wählt neuen Vorstand

Mitglieder von Genocide Alert trafen sich zur Jahreshauptversammlung
Am Sonntag den 18.01.2015 kamen Mitglieder von Genocide Alert e.V. zur Jahreshauptversammlung zusammen. Während sich in Berlin und Frankfurt regional ansässige Mitglieder in Gruppen zusammenfanden, schalteten sich unter anderem weitere Mitglieder aus Mainz, München, Kopenhagen und Hamburg via Skype dazu. So boten sich aktiven Mitgliedern, Fördermitgliedern und dem Vorstand die Möglichkeit, über das vergangene Jahr zu diskutieren, sowie Anregungen für das neue Jahr einzubringen.

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Interviewreihe: Lehren aus dem Völkermord in Ruanda

In Rahmen unserer Podiumsdiskussionsreihe zur Frage “20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda – Was haben wir gelernt?” haben wir mit mehr als 450 Menschen in Deutschland debattiert. Einige haben uns sehr beeindruckt. Ein paar dieser Menschen sowie zwei Überlebende des Völkermords haben wir gebeten, ihre Gedanken zu unserer Leitfrage zusammenzufassen. Ihre Antworten finden Sie hier.

» Interviewreihe: 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda – Was haben wir gelernt?

Trotz Kampf gegen ISIS: Schutz der syrischen Bevölkerung nicht vergessen!

 

Der Vormarsch des sog. „Islamischen Staats“ (ISIS) im Irak und die Luftschläge der USA und ihrer Verbündeten gegen die islamistischen Extremisten beherrschen die Berichterstattung über den Nahen Osten. Der seit Jahren andauernde Bürgerkrieg in Syrien und seine Opfer verschwinden hingegen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angesichts der systematischen Gräueltaten des Assad-Regimes wäre es kurzsichtig und gefährlich, die westliche Syrienpolitik allein auf den Kampf gegen ISIS zu verkürzen. Vielmehr ist ein umfassenderer Ansatz nötig, der insbesondere dem Schutz der Zivilbevölkerung größere Bedeutung beimisst. Auf Basis von Experteninterviews skizziert der vorliegende Policy Brief konkrete Maßnahmen, mit denen das Leid der syrischen Bevölkerung gemindert werden könnte. Die vollständigen Interviews sind diesem Policy Brief als Dokumentation beigefügt.


Krieg in Syrien und die Entstehung des sog. Islamischen Staats

Mit mehr als 191.000 Toten und 9,5 Millionen Vertriebenen hat sich der Bürgerkrieg in Syrien zu einer humanitären Katastrophe entwickelt, die inzwischen den gesamten Nahen Osten destabilisiert. Ein früheres entschlossenes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft hätte nicht nur hunderttausenden Zivilisten das Leben gerettet, sondern auch die zunehmende Radikalisierung und Brutalisierung der Konfliktparteien verhindern können. Aufgrund der russischen und chinesischen Blockade des UN Sicherheitsrats wurden die Vereinten Nationen jedoch ihrer Aufgabe zur Bewahrung des Weltfriedens und des Schutzes der Zivilbevölkerung nicht gerecht. Inzwischen konnte der sogenannte Islamische Staat (ISIS) in Folge der Eskalation des Bürgerkriegs durch das Assad-Regime und durch Unterstützung islamistischer Geldgeber außerhalb Syriens zu einem der Hauptakteure des inzwischen grenzüberschreitenden Syrienkonflikts heranwachsen.

Jedoch hat auch die mangelnde Bereitschaft des Westens, eine weitere Eskalation des syrischen Bürgerkriegs mit allen notwendigen Mitteln zu verhindern, ebenfalls zur Entstehung des Nährbodens für ISIS beigetragen. Eine entschlossene Reaktion auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes zu Anfang des Konflikts hätte eine Eskalation, wie sie heute zu beobachten ist, wahrscheinlich verhindert und Gruppen wie ISIS den Boden entzogen. Nun liegt es an der internationalen Gemeinschaft, die Folgen ihrer eigenen Untätigkeit zu korrigieren, indem sie vor den noch immer anhaltenden Massenverbrechen nicht länger die Augen verschließt.

Keine Verengung der Syrienpolitik auf ISIS

Der internationale Kampf gegen den Vormarsch des ISIS im Nordirak und in Syrien lässt die dramatische humanitäre Situation der Zivilbevölkerung in den Hintergrund rücken. Die derzeit zu beobachtende Tendenz, den Bürgerkrieg in Syrien nur noch durch die Brille eines Kampfes gegen islamistische Gruppierungen wie ISIS oder Al-Nusra zu betrachten, ist jedoch eine gefährliche Verengung. Die unter dem Konflikt leidende Zivilbevölkerung muss besser vor Gewalt geschützt und moderate Kräfte gestärkt werden, wenn Syrien nicht unwiderruflich zu einem gescheiterten Staat wie Somalia werden soll. Solange unschuldige Zivilisten Opfer systematischer Massaker werden, bleibt eine diplomatische Lösung illusorisch.

Durch die derzeit stattfindenden Militäraktionen steht der Konflikt in Syrien zwar wieder stärker im Augenmerk der internationalen Öffentlichkeit. Diese Aufmerksamkeit und Dynamik sollte jedoch von politischer Seite auch dazu genutzt werden, um über den Kampf gegen ISIS hinaus den Schutz der Zivilbevölkerung in ganz Syrien zu einer Priorität des internationalen Engagements zu machen. Folgende Handlungsoptionen sollten hierbei geprüft werden:

1) Diplomatische Bemühungen ausbauen

Trotz des Scheiterns aller bisheriger Friedensbemühungen sollten erneute Gesprächsfäden zwischen den Konfliktparteien gesponnen werden. Hier müssen auch die Unterstützer des Regimes – allen voran Russland und Iran – sowie die Unterstützer der verschiedenen Rebellengruppen – Katar, Saudi Arabien, die Türkei und die USA – mit einbezogen werden. Das derzeit verhandelte Nuklearabkommen mit dem Iran sowie die indirekte Kooperation der USA und Irans im Konflikt mit ISIS könnten eine Chance für Verhandlungen über die Zukunft Syriens darstellen. Gleichzeitig sollte mit Russland und Chi-na über eine Überweisung der Causa an den Internationalen Strafgerichtshof verhandelt werden, um die Konfliktparteien von weiteren Gräueltaten abzuschrecken. Nicht nur angesichts glaubwürdiger, dem UN Sicherheitsrat vorliegender Belege, dass zehntausende Oppositioneller auf Weisung des Assad-Regimes zu Tode gefoltert wurden, ist eine Amnestie oder gar Kooperation mit Assad ausgeschlossen.

2) Luftangriffe auf Zivilisten unterbinden

Die Zivilbevölkerung Syriens leidet in hohem Maße unter Angriffen aus der Luft. Ein besonders grausames und nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheidendes Mittel der Kriegsführung ist der Einsatz von Benzin- und Chlorgasbomben durch das syrische Regime gegen von Rebellen gehaltene Wohngebiete. Die internationale Gemeinschaft sollte nicht hinnehmen, dass die syrische Luftwaffe grundlegende Normen des Völkerrechts kontinuierlich und ungestraft bricht. Sollte die Regierung in Damaskus weiterhin solche eindeutig völkerrechtswidrigen Angriffe fliegen, sollte ein Weg gefunden werden, die bereits heute im Kampf gegen ISIS befindlichen Luftstreitkräfte zur Unterbindung weiterer Attacken auf die Zivilbevölkerung zu nutzen.

Zudem sollte Deutschland seine internationale Reputation im Bereich der Rüstungskontrolle nutzen, um eine Ächtung von Benzin- und Chlorgasbomben zu erreichen. Die genannten Waffen müssen in die Bemühungen der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zur Vernichtung der syrischen Chemie-waffen mit einbezogen werden.

3) Lokalen Wiederaufbau unterstützen

In den von moderaten Rebellen der Freien Syrischen Armee befreiten Gebieten muss der wirtschaftliche Wiederaufbau stärker unterstützt werden. Eine Motivation für Kämpfer, sich extremen Islamisten anzuschließen, ist schließlich auch finanzieller Natur. Insbesondere ISIS verfügt über erhebliche finanzielle Mittel. So kann die Gruppe ihren Kämpfern einen vergleichsweise hohen Sold zahlen und ihnen zudem im Todesfall die Versorgung der zurückgelassenen Familie zusagen. Aufbauhilfen in Gebieten, in denen keine Kampfhandlungen mehr stattfinden, wären eine große Hilfe, der Bevölkerung eine Versorgung aus eigener Kraft und außerhalb der Kriegsführung auf Seiten der Islamisten zu ermöglichen. Für einen Wiederaufbau sollte das Augenmerk zudem auf die Förderung lokaler Waffenstillstandsabkommen gelegt werden. Dialog-foren, wie sie zum Beispiel vom Genfer Centre for Humanitarian Dialogue vorangebracht werden, können Vertreter verschiedener ethnischer, religiöser, politischer und sozialer Gruppen zusammen-bringen und das Potential für Racheakte und ethnische Konflikte verringern.

4) Hilfe für Flüchtlinge und Anrainer stärken

Das UN-Büro für die Koordination humanitärer Hilfe beziffert die notwendigen Mittel für die humanitäre Hilfe in Syrien und in den Nachbarländern auf insgesamt sechs Milliarden US-Dollar für 2014. Bisher wurden nur 2,4 Milliarden US-Dollar bereitgestellt; 60% der notwendigen Finanzmittel fehlen noch. Die UN muss daher inzwischen die Nahrungsmittelrationen kürzen. Zwar hat sich Deutschland bisher bereit erklärt, 25.500 Syrer aufzunehmen und humanitäre Hilfsmaßnahmen in Syrien finanziell zu unterstützen.

Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass eine Ausweitung der Hilfen für Syrien und die Nachbarländer dringend notwendig ist. Hierbei handelt es sich nicht nur um klassische humanitäre Hilfe, sondern auch um Unterstützung zur Stabilisierung der Nachbarstaaten. So gab es bereits gewaltsame Zwischenfälle im Libanon. Auch in der Türkei steht die lokale Bevölkerung der schieren Masse an Flüchtlingen zunehmend skep-tisch gegenüber. Der Libanon hat inzwischen die Grenze für weitere Flüchtlinge geschlossen. Dies sind Warnzeichen, auf die man jetzt reagieren sollte, bevor Skepsis in offene – und deutlich schwieriger zu bewältigende – Konflikte umschlägt.

Vor diesem Hintergrund sollten die Anrainerstaaten bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe sowie der Herstellung eines friedlichen Umfelds um die Flüchtlingslager herum unterstützt werden. Zudem bedarf gerade der Gesundheits- und Bildungssektor der Aufnahmeländer stärkerer Unterstützung, wenn man verhindern will, dass die derzeitige Generation von Kindern und Jugendlichen auf Grund mangelnder Bildung und schlechter Versorgung vollkommen perspektivlos aufwächst. So ließen sich durch eine verantwortungsbewusste Vorsorge die langfristigen negativen Konsequenzen dämpfen, die der Bürgerkrieg in den kommenden Dekaden zweifellos haben wird. Die EU sollte daher deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen, als dies bisher der Fall ist.

Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft

Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben sich im Jahr 2005 mit dem Beschluss der Responsibility to Protect dazu verpflichtet, ihre Bevölkerungen vor Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen zu schützen. Sollte eine Regierung zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht willens oder fähig sein, hat die internationale Gemeinschaft die Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung. Angesichts der schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen in Syrien ist es Zeit, dass die Weltgemeinschaft ihren Worten Taten folgen lässt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht. Je länger die internationale Gemeinschaft einer weiteren Brutalisierung tatenlos zusieht, desto schwieriger und teurer wird ein späterer Wiederaufbau werden. Eine Perspektive für Syrien kann nur dann entstehen, wenn der Kampf gegen ISIS mit einem effektiveren Schutz der Zivilbevölkerung überall in Syrien einhergeht und systematische Menschenrechtsverbrechen bestraft werden.

Autoren: Gregor Hofmann, Dr. Robert Schütte

Download: Das Policy Brief „Trotz Kampf gegen ISIS: Schutz der syrischen Bevölkerung nicht vergessen!“ als PDF herunterladen.

Weiterlesen: Zu den Experteninterviews zu Syrien.